Werkhof-Portrait Ikram Belkhir

Nur nicht entmutigen lassen

In ihrem Büro in der zweiten Etage des Werkhof-Standortes Hagen-Eckesey, dem Verwaltungsflügel, kann man Ikram Belkhir fast übersehen. Nur der dunkle Haarschopf der zierlichen 28-Jährigen ragt ein wenig über die Oberkante ihrer beiden großen Computer-Bildschirme hinaus, was auch daran liegt, dass sie sehr nahe davorsitzt. Die junge Frau ist stark sehbehindert, was sie dank einer speziellen Ausstattung ihres Arbeitsplatzes nicht daran hindert, engagiert, akribisch und professionell Rechnungen für die Werkhof gGmbH zu schreiben: Für Dienstleistungen ebenso wie für Mobilar und andere Gegenstände aus dem „Möbel & mehr“-Sozialkaufhaus.

Dass Ikram Belkhir eine Chance bekommt, ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen, ist auch heute noch, in Zeiten von Inklusion und Teilhabe, nicht selbstverständlich. Schon im Kindergarten war den Betreuerinnen aufgefallen, dass mit der kleinen Ikram irgendetwas nicht stimmt: „Beim Ausmalen von Malbüchern habe ich immer daneben gemalt“, erinnert sich Ikram Belkhir. Sie wurde untersucht und bald stand fest: Das Sehvermögen lag bei etwa fünf Prozent auf jedem Auge im Nahbereich, in der Entfernung sogar bei nur etwa zweieinhalb Prozent. Auch mit einer Brille sieht sie nicht wesentlich besser. Dennoch absolvierte sie, darauf ist sie besonders stolz, ihre Schullaufbahn auf einer regulären Hauptschule, die sie schließlich trotz aller Schwierigkeiten mit dem Realschulabschluss beendete. Die folgende Suche nach einem Ausbildungsplatz verlief allerdings eher ernüchternd: Floskelhafte Absagen, wenn überhaupt. So begann sie eine Ausbildung zur Kauffrau für Büromanagement an einer Berufsfachschule für Sehbehinderte. „Ich hätte eine betriebliche Ausbildung vorgezogen“, sagt Ikram Belkhir. Schüchtern wirkt sie dabei, doch spürt man auch ihre Entschlossenheit. Sie ließ sich auch nicht entmutigen, als es nach der Ausbildung wieder Absagen oder unbeantwortete Bewerbungen hagelte. Die Agentur für Arbeit vermittelte ihr schließlich im Jahr 2015 ein Praktikum beim Werkhof – eine Chance, die sie mit beiden Händen ergriff.

Hilfe für Jobsuchende

Der Werkhof ist eine gemeinnützige Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft. Ihr Aushängeschild sind die bekannten und beliebten Sozialkaufhäuser in Hagen, Iserlohn und Halver. Daneben widmet sich der Werkhof in unterschiedlichen Projekten den Themen Integration und Beschäftigung. In Zusammenarbeit mit der Agentur für Arbeit und den Jobcentern im Einzugsgebiet werden Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen Schwierigkeiten haben, von allein einen Arbeitsplatz zu finden, gefördert und an den Arbeitsmarkt herangeführt. Das beinhaltet die Beschäftigung in den verschiedenen Betriebsbereichen des Werkhofs, zu denen neben den Sozialkaufhäusern auch diverse Dienstleistungen, eine Küche und ein Wertstoffhof gehören. Weitere Schwerpunkte sind die Berufsorientierung für Jugendliche und Integrationshilfe für Migranten, wie Spracherwerb und Unterstützung bei Behördenangelegenheiten. Ikram Belkhir „landete“ hier zunächst in der Boutique, einem Bereich des Sozialkaufhauses, in dem Second-Hand-Bekleidung angeboten wird ­– eine Tätigkeit, die ihr als leidenschaftliche „Shopperin“ sehr entgegen kam, nur das sie auf die andere Seite des Tresens wechselte. „Das hat mir sehr viel Spaß gemacht“, erinnert sie sich. Nach dem Praktikum wurde sie als Verkäuferin übernommen. Mit der Zeit übertrug man ihr immer verantwortungsvollere Aufgaben bis hin zur Kassenführung. Dann, im April 2019, wurde ihr eine Stelle in der Verwaltung angeboten.

Interne Förderung

„Es gehört zu unserer Philosophie, bei Stellenbesetzungen zunächst intern zu schauen, wen man fördern kann“, erläutert Werkhof-Geschäftsführer Jürgen Scheper. „Unter den Menschen, die zu uns kommen, sind nicht selten verkannte Talente, denen auf dem normalen Arbeitsmarkt oftmals keine Chance eingeräumt wird. Als wir jemanden mit kaufmännischer Ausbildung suchten, gaben wir Frau Belkhir die Möglichkeit, sich in der Rechnungsabteilung auszuprobieren.“ Dafür richtete der Werkhof einen behindertengerechten Arbeitsplatz mit diversen Hilfsmitteln für die Büroarbeit ein, wie eine Lupe, Lesegeräte und eine Spezialsoftware für die Bildschirmdarstellung. „Ich dachte erst, das schaff ich nie, auch wegen der vielen handschriftlichen Unterlagen“, gibt Ikram Belkhir zu. Sie wurde jedoch von dem Mitarbeiter, dessen Aufgaben sie nach seinem Übergang in den Ruhestand übernehmen sollte, gründlich eingearbeitet. Das erwies sich wie auch die technische Ausstattung schon bald als gute Investition: Gerade weil Ikram Belkhir öfter und genauer hinschauen muss, sieht sie manchmal Dinge, die andere übersehen. Mit ihrer Gewissenhaftigkeit gleicht sie die längere Bearbeitungszeit aus, die mit ihrer Sehbehinderung verbunden ist.

Inzwischen hat Ikram Belkhir einen unbefristeten Arbeitsvertrag und hat sich als geschätztes Teammitglied bei ihren Kolleginnen und Kollegen etabliert. „Man soll immer alles ausprobieren und nicht durch das Handicap entmutigen lassen“, gibt sie anderen Menschen mit auf den Weg, die in einer ähnlichen Situation wie sie sind.

Text Andreas Tietz; Fotos Heike Thomese-Osthoff